Holly Jackson hat mich mit ihrer „A Good Girl‘s Guide to Murder“-Reihe restlos begeistert. Als großer Fan ihrer Jugendbuch-Thriller war ich daher umso neugieriger auf „Not Quite Dead Yet“, ihren ersten Ausflug in die Welt der Erwachsenenbücher. Kann sie auch hier mit ihrer charakteristischen Mischung aus Spannung und tiefgründigen Charakteren überzeugen? Die Antwort ist ein klares Ja – auch wenn der Übergang von Young Adult zu Adult für mich nicht in jeder Hinsicht hundertprozentig gelungen ist.
Ein Countdown gegen die Zeit: Sieben Tage, um den eigenen Mord aufzuklären
Ebenso brutal wie fesselnd: Die 27-jährige Jet Mason wird in ihrem Elternhaus überfallen und für tot zurückgelassen. Sie überlebt knapp, doch die Diagnose der Ärzte ist niederschmetternd: Durch die Verletzungen hat sich ein inoperables Aneurysma gebildet, das sie innerhalb einer Woche töten wird. Anstatt ihre letzten Tage passiv im Krankenhaus zu verbringen, entscheidet sich Jet, das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen. Ihr Plan: Sie will ihren Mörder finden, bevor der Countdown abläuft. Was wie eine unmögliche Aufgabe erscheint, wird für Jet zur einzigen Chance, in ihrem von Krankheit und kleinen Niederlagen geprägten Leben doch noch etwas zu bewirken.
Von der Prokrastination zur Action: Jets Wandlung unter dem Todesdruck
Was dieses Buch so besonders macht, ist die Entwicklung der Protagonistin. Jet ist keine typische Heldin. Geprägt von einer chronischen Nierenerkrankung und einer familiären Tragödie in ihrer Jugend, hat sie sich eine ruppige, zynische Fassade zugelegt und sich angewöhnt, unangenehme Dinge vor sich herzuschieben. Der bevorstehende Tod zwingt sie nun, aus dieser Starre zu erwachen. Holly Jackson zeichnet diese Wandlung meisterhaft nach. Man fiebert nicht nur mit, weil man wissen will, wer der Täter ist, sondern auch, weil man hofft, dass Jet in ihren letzten Tagen noch ein Stück Lebensglück und Erfüllung findet. Die zarte Liebesgeschichte zu Billy, einem alten Freund, der ihr zur Seite steht, sorgt dabei für emotional wärmende Momente in der ansonsten düsteren Geschichte.
Woodstock als brodelnder Kessel aus Geheimnissen
Wie in ihren Jugendbüchern entpuppt sich auch hier die scheinbar idyllische Kleinstadt Woodstock als brodelnder Kessel aus Lügen und Geheimnissen. Je tiefer Jet gräbt, desto mehr Schmutzwäsche ihrer eigenen, gut situierten Familie Mason kommt ans Licht. Ehebruch, Betrug und weitere Verbrechen – Jackson wirft einiges in die Waagschale, um die Liste der Verdächtigen lang und die Motive vielfältig zu halten. Die ständige Anwesenheit von Freunden und Familie, die alle ihr eigenes Süppchen kochen, schafft eine permanente, beklemmende Atmosphäre des Misstrauens.
Erwachsenenthiller mit jugendlichem Sound?
Mein größter Kritikpunkt betrifft die angekündigte Einordnung als Erwachsenenthiller. Für mich fühlte sich „Not Quite Dead Yet“ in Tonfall und Erzählstruktur sehr nach einem Jackson-typischen Young-Adult-Buch an, nur dass die Protagonistin eben 27 statt 17 ist. Die Dialoge, die Art der Konflikte und vor allem die Art, wie die falschen Fährten gelegt werden, kommen mir sehr vertraut vor. Erfahrene Thriller-Leser werden einige Hinweise vermutlich etwas früh durchschauen. Der große Überraschungseffekt, den ich von „A Good Girl‘s Guide to Murder“ gewohnt war, blieb für mich daher etwas aus.
Fazit: Ein gelungener, wenn auch nicht ganz reibungsloser Übergang
Trotz dieser kleinen Schwächen ist „Not Quite Dead Yet“ ein absolut kurzweiliger und fesselnder Thriller. Jacksons Stärke, unvergessliche Charaktere zu schaffen, die man trotz oder gerade wegen ihrer Ecken und Kanten ins Herz schließt, kommt auch hier voll zur Geltung. Die Idee, ein Mordopfer auf die Suche nach dem eigenen Mörder zu schicken, ist originell umgesetzt und der Countdown sorgt für durchgängig hohe Spannung.
Wer einen spannenden Psychothriller erwartet, könnte enttäuscht werden. Wer aber Holly Jacksons Schreibstil liebt und eine gut konstruierte, emotionale und temporeiche Story sucht, die sich trotz der erwachsenen Protagonistin nah an den Stärken ihrer Jugendbücher orientiert, wird hier definitiv auf seine Kosten kommen. „Not Quite Dead Yet“ ist ein mehr als solider Start in die Erwachsenenwelt und macht Appetit auf mehr.
Bibliographisches zum Buch „Not Quite Dead Yet“
Erschienen im Deutschen bei Lübbe am 17.07.2025.
ISBN: 978-3-7577-0124-6
Umfang: 496 Seiten
Preis (Hardcover): 22,90 €
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