Von diesem Buch hatte ich immer wieder gehört – und nach langer Zeit habe ich mich endlich getraut, es zu lesen. „Last Night at the Telegraph Club“ ist nicht nur eine queere Liebesgeschichte, sondern ein faszinierendes historisches Porträt des chinesisch-amerikanischen Lebens in den 1950er Jahren, das mich tief berührt hat.
San Francisco in den 1950ern: Eine Welt voller Widersprüche
Die siebzehnjährige Lily Hu wächst im chinesischen Viertel San Franciscos auf. Ihr Leben ist geprägt von den strengen Erwartungen ihrer traditionellen Familie und der chinesischen Community. Während ihre Freundin Shirley sich eine Zukunft als Ehefrau und Mutter ausmalt, träumt Lily davon, Wissenschaftlerin in der Raumfahrtforschung zu werden. Doch ein Zeitungsinserat verändert alles: die „Herrenimitatorin“ Tommy Andrews, die im Telegraph Club auftritt, weckt in Lily eine unbestimmte Sehnsucht, für die sie zunächst keine Worte findet.
Eine zarte Selbstentdeckung
Malinda Lo gelingt es, Lilys langsames Erwachen für ihre eigene Sexualität einfühlsam und authentisch zu zeichnen. Die Begegnung mit Kath Miller, einer amerikanischen Mitschülerin, die ihr Interesse an Tommy Andrews erkennt, wird zum Türöffner in eine verbotene Welt. Gemeinsam besuchen sie den Telegraph Club – einen lesbischen Underground-Club, der Lily verzaubert und verstört zugleich. Lo beschreibt diese Selbstentdeckung mit großer Behutsamkeit; jede Emotion, jeder Zweifel, jede Erkenntnis wirkt absolut glaubwürdig.
Historische Authentizität und politische Tiefe
Was dieses Buch so besonders macht, ist die historische Genauigkeit. Lo verwebt geschickt die politische Atmosphäre der McCarthy-Ära mit Lilys persönlicher Geschichte. Die ständige Bedrohung durch die Kommunistenjagd, die besonders chinesisch-stämmige Amerikaner traf, bildet eine beklemmende Kulisse. Lilys Besuche im Telegraph Club sind nicht nur wegen ihrer Sexualität gefährlich, sondern auch wegen der politischen Implikationen für ihre Familie.
Eine Liebe unter schwierigsten Bedingungen
Die sich entwickelnde Romanze zwischen Lily und Kath ist von einer zarten Intensität, die unter die Haut geht. Dies ist keine laute, dramatische Liebesgeschichte, sondern eine leise, umso eindringlichere Erkundung von Gefühlen, die keine Namen haben dürfen. Die langsamen Annäherungen, die heimlichen Treffen, die ständige Angst vor Entdeckung – all das macht die Beziehung so ergreifend und authentisch.
Starke Charaktere und komplexe Beziehungen
Lily ist eine unvergessliche Protagonistin: intelligent, neugierig und mutig, aber auch unsicher und von Pflichtgefühlen zerrissen. Ihre Konflikte mit der Familie, besonders mit ihrer besten Freundin Shirley, die Homosexualität als „unnatürlich“ betrachtet, sind psychologisch fein austariert. Die Nebenfiguren – insbesondere die rätselhafte Tommy Andrews – bereichern die Handlung und vermitteln ein differenziertes Bild der queeren Community dieser Zeit.
Fazit: Ein wichtiges, berührendes Buch
„Last Night at the Telegraph Club“ ist mehr als nur ein Jugendbuch – es ist ein literarisches Zeitdokument von großer Tiefe und Schönheit. Malinda Lo hat einen Roman geschrieben, der nicht nur unterhält, sondern auch bildet und berührt. Die Verbindung von persönlicher Selbstfindung mit historisch-politischen Themen gelingt ihr brillant.
Wer nach einer intelligenten, einfühlsamen queeren Liebesgeschichte sucht, die in einer faszinierenden historischen Epoche spielt, wird hier voll auf seine Kosten kommen. Ein Buch, das noch lange nachhallt – und das ich uneingeschränkt empfehlen kann!
Bibliographisches zum Buch „Last Night at the Telegraph Club“
Erschienen im Deutschen beim dtv im April 2025
ISBN: 978-3-423-76419-3
Umfang: [Hier Seitenzahl einfügen] 448
Preis: 19 Euro
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