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WENN WIR LÄCHELN von Mascha Unterlehberg

[Werbung | Rezensionsexemplar]

Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse war ich auf einer Veranstaltung von Dumont. Dort hat Mascha Unterlehberg aus ihrem Debütroman „Wenn wir lächeln“ gelesen und mich damit neugierig auf mehr gemacht. Das Buch hält, was es verspricht: Ein intensiver, emotional aufwühlender Roman über eine Jugend im Ruhrgebiet, zwischen Wut und Zerbrechlichkeit.

Eine Freundschaft wie eine offene Wunde: Jara und Anto

Im Zentrum des Romans steht die symbiotische Freundschaft zwischen den beiden Teenagern Jara und Anto. Sie lernen sich mit fünfzehn auf dem Fußballplatz kennen und werden zu unzertrennlichen Komplizinnen. Anto, aus wohlhabenden Verhältnissen stammend aber von ihrer oft abwesenden Mutter alleingelassen, ist die Dominante in der Beziehung. Jara, die Ich-Erzählerin, ordnet sich ihr vollständig unter und findet in Anto den Halt, den sie anderswo vermisst. Ihre „Schwesternschaft“ manifestiert sich in gemeinsamen Diebstählen, nächtlichem Vandalismus und einer radikalen Ablehnung der Erwachsenenwelt.

Doch der Roman beginnt mit dem Ende: Anto ist von einer stillgelegten Eisenbahnbrücke in die Ruhr gesprungen und verschwunden. Was zunächst wie ein Scherz wirkt, wird zur brutalen Realität. Aus dieser Verlustperspektive heraus setzt Jara assoziativ die Puzzleteile ihrer gemeinsamen Vergangenheit zusammen.

Fragmentarische Erinnerungen: Eine Jugend im Ruhrgebiet der Nullerjahre

Unterlehberg erzählt nicht linear, sondern in Erinnerungsfragmenten, die sich wie Wellen über den Leser ergießen. Die erste Lektüre erfordert etwas Geduld – die Zeitsprünge, die Andeutungen, die scheinbar willkürlich aneinandergereihten Szenen wirken anfangs sperrig. Doch genau diese Erzählweise entpuppt sich als geniale Stilentscheidung. Sie spiegelt perfekt die Fragilität von Erinnerung und die Zerrissenheit der Protagonistinnen.

Das Ruhrgebiet der frühen Nullerjahre wird dabei zur dritten Hauptfigur. Die verlassenen Industrieanlagen, die engen Straßen, die omnipräsente „knallharte Männlichkeit“ – Unterlehberg zeichnet ein authentisches Bild einer Jugend, die sich gegen sexualisierte Gewalt, Belästigungen und gesellschaftliche Normen zur Wehr setzt. Die Verweise auf die Musik und Mode der Zeit verankern die Geschichte fest in ihrer Epoche.

Zwischen Wut und Ohnmacht: Die Schmerzen des Erwachsenwerdens

Was diesen Roman so besonders macht, ist die schonungslose Offenheit, mit der Unterlehberg die emotionale Achterbahn der Pubertät beschreibt. Die Stimmung pendelt abrupt zwischen euphorischer Rebellion und tiefer Verzweiflung. Hinter den Gewaltausbrüchen und radikalen Handlungen der Mädchen wird stets ihre immense Verletzlichkeit spürbar. Dies ist kein Roman, der moralisiert oder verklärt – er zeigt vielmehr, wie Jugendliche in einer als feindlich empfundenen Welt nach Halt und Identität suchen.

Besonders beeindruckend ist die Darstellung der Beziehungsdynamik. Die fast toxische Abhängigkeit Jaras von Anto, das Schwanken zwischen Bewunderung und Unterwerfung, wird mit großer psychologischer Präzision gezeichnet. Die unausgesprochene Zuneigung zwischen den beiden verleiht der Geschichte eine zusätzliche, fragile Ebene.

Fazit: Ein beeindruckendes, eigenwilliges Debüt

„Wenn wir lächeln“ ist kein einfacher Roman, aber ein ungemein lohnenswerter. Mascha Unterlehberg findet eine ganz eigene Sprache für die Wut und Ohnmacht einer Generation. Der anfänglich sperrige Erzählstil entfaltet mit fortschreitender Lektüre eine intensive Sogwirkung und mündet in einer emotionalen Wucht, die noch lange nachhallt.

Wer literarisch anspruchsvolle Romane schätzt, die gesellschaftliche Realitäten ohne zu viel Rührseligkeit einfangen, wird hier reich belohnt. Ein kluger, berührender und mutiger Roman über Freundschaft, Verlust und die Schmerzen des Erwachsenwerdens. Mascha Unterlehberg ist eine Stimme, auf die man in Zukunft achten sollte.


Bibliographisches zum Buch „Wenn wir lächeln“

Erschienen im Deutschen bei DuMont im Februar 2025.
ISBN: 978-3-7558-0036-1
Umfang: 256 Seiten
Preis (Hardcover): 23 Euro
Link zur Buchseite beim Verlag

Eve Bernhardt

Eve Bernhardt ist in Göttingen aufgewachsen und liest schon so lange sie denken kann. Nach ihrem FSJ Kultur studierte sie Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim. Sie arbeitet als Journalistin und betreibt seit 2020 betreibt ihren eigenen Jugendbuchpodcast.

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