Plötzlich war es überall. Dieses Buch. „Witches, Bitches, It-Girls“ tauchte immer wieder in den Instagram-Stories meiner Freundinnen auf – und weckte meine Neugier. Rebekka Endler war mir als Autorin bisher nicht bekannt, doch der provokante Titel und das auffällige Cover und nicht zuletzt das Thema, mit dem es beworben wurde (Feminismus) ließen mich zugreifen. Was ich vorfand, war eine gleichermaßen wütende wie kluge Analyse patriarchaler Strukturen, die unser Denken bis heute prägt.
Wie Mythen Wirklichkeit formen: Eine Reise durch die Mechanismen der Macht
Endlers These ist so einfach wie eindringlich: Das Patriarchat erhält sich durch die Schaffung weiblicher Schreckgespenster am Leben. Anhand der drei Archetypen „Hexen“, „Bitches“ und „It-Girls“ seziert sie, wie frauenfeindliche Narrative über Jahrhunderte hinweg konstruiert und perpetuiert wurden. Ihr Auftaktkapitel über den Begriff der „Normalität“ als Herrschaftsinstrument trifft ins Mark – was als natürlich gilt, ist oft nichts anderes als eine machtvoll durchgesetzte Fiktion. Von Schönheitsidealen über Medizin bis hin zur Kunst zeigt Endler auf, wie tief diese Normen in unserem Alltag verwurzelt sind.
Beeindruckende Spannweite: Von Popkultur bis Wissenschaft
Was dieses Buch so besonders macht, ist seine beeindruckende thematische Bandbreite. Endler springt mühelos zwischen Hochkultur und Popkultur hin und her: Während sie auf der einen Seite die Dämonisierung von Frauenvereinen im 19. Jahrhundert analysiert, dekonstruiert sie auf der anderen Seite das Phänomen der It-Girls der Nullerjahre. Ihre persönliche Reflexion über die eigene Ambivalenz gegenüber Figuren wie Paris Hilton – zwischen Anziehung und Verachtung – macht die Analyse besonders greifbar. Diese Verbindung von akademischer Tiefe mit zugänglicher Sprache gelingt ihr hervorragend.
Engagiert, wach und selbstreflektiert
Endler schreibt mit einer Leidenschaft und Empörung, die ansteckend wirkt. Doch was ihr Buch von reinen Wutabhandlungen unterscheidet, ist die konsequente Selbstreflexion. Sie thematisiert offen die internalisierte Misogynie, die auch sie selbst geprägt hat, und bezieht sich immer wieder auf ihre eigenen Prägungen und Vorurteile. Diese Ehrlichkeit verleiht ihren Argumenten zusätzliches Gewicht und verhindert einen belehrenden Ton.
Besonders gelungen ist das Kapitel über den „male gaze“ in Film und Medien. Ihre Analyse von True-Crime-Formaten, in denen junge Frauen als ästhetisierte Opfer drapiert werden, während andere Formen von Gewalt unsichtbar bleiben, ist messerscharf und erhellend zugleich.
Ein Funke Hoffnung im Dunkeln
Trotz der düsteren Analyse endet das Buch nicht in Resignation. Im finalen Teil widmet sich Endler dem Widerstand – von popkulturellem Empowerment bis hin zu neuen Allianzen. Ihr Plädoyer für kollektives Handeln als Antwort auf den erstarkenden Rechtsruck wirkt nicht nur plausibel, sondern auch dringend notwendig.
Fazit: Ein wichtiges, relevantes und brilliant geschriebenes Sachbuch
„Witches, Bitches, It-Girls“ ist kein leichtes Buch, aber ein ungemein wichtiges. Rebekka Endler gelingt es, komplexe feministische Theorien in eine Sprache zu übersetzen, die sowohl eingängig als auch anspruchsvoll ist. Ihre Analyse ist so fundiert wie relevant und trifft den Nerv unserer Zeit.
Wer sich für die unsichtbaren Strukturen interessiert, die unser Denken und Handeln prägen, wird hier reich belohnt. Das Buch regt nicht nur zum Nachdenken an, sondern liefert auch das Handwerkszeug, um patriarchale Muster im eigenen Umfeld zu erkennen und zu benennen. Eine absolute Leseempfehlung für alle, die verstehen wollen, wie Macht und Narrative zusammenhängen – und wie wir sie verändern können.
Bibliographisches zum Buch „Witches, Bitches, It-Girls“
Erschienen im Deutschen bei Rowohlt am 13.05.2025.
ISBN: 978-3-498-00740-9
Umfang: 464 Seiten
Preis (Gebunden): 25,00 €
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