[Werbung | Rezensionsexemplar]
„Dancing Queen“ ist das Debüt der argentinischen Autorin Camila Fabbri. Als begeisterter Musikfan bin ich beim Stöbern durch die Neuerscheinungen natürlich sofort an dem Titel hängengeblieben. Zum Glück! Aber Achtung: „Dancing Queen“ ist kein leichter Tanzroman, sondern eine scharfsinnige, melancholische und zugleich bittere Bestandsaufnahme weiblicher Existenz in einer desillusionierten Gegenwart.
Zwischen Unfallwrack und Innenleben: Eine Frau am Rand des Zusammenbruchs
Die Erzählerin Paulina, Mitte dreißig, erwacht schwer verletzt in einem demolierten Auto – gefangen mit einem fremden Teenager an ihrer Seite. Von dort aus entfaltet sich eine fragmentarische Rückblende ihres Lebens in Buenos Aires: ein trister Alltag zwischen einem halbherzigen Job, einer gescheiterten Beziehung und der lähmenden Leere, die Routine und Einsamkeit hinterlassen haben.
Fabbri verzichtet auf lineare Handlung zugunsten von Erinnerungsfetzen, Beobachtungen und inneren Monologen. Der Effekt ist beklemmend – wir erleben Paulinas Leben wie durch eine zersprungene Windschutzscheibe: scharfkantig, unübersichtlich, aber voller Reflexionen über das, was Frauen im 21. Jahrhundert formt, frustriert und manchmal zerstört.
Zynisch, poetisch, radikal weiblich
Fabbris Sprache ist das Herzstück dieses Romans. Sie schreibt lakonisch und präzise, mit einem sarkastischen Witz, der sich plötzlich in poetische Zärtlichkeit verwandeln kann. In einem Satz verspottet Paulina den Alltag, im nächsten beschreibt sie das Licht eines Nachmittags so zart, dass man unwillkürlich innehält.
Dieser sprachliche Tanz zwischen Härte und Verletzlichkeit erinnert an Autor:innen wie Sally Rooney, hat aber eine ganz eigene, argentinische Bitterkeit. Fabbri gelingt es, weibliche Wut, Lust und Selbstentfremdung zu verbinden, ohne sie zu erklären oder zu entschuldigen. Paulina ist keine sympathische Figur – aber sie ist radikal ehrlich, und das macht sie faszinierend.
Feminismus ohne Parolen
Was „Dancing Queen“ so bemerkenswert macht, ist sein feministischer Unterton, der nie plakativ wird. Statt großer Thesen zeigt Fabbri, wie sich patriarchale Strukturen in den kleinsten Momenten manifestieren: in einer Beziehung, die auf Routine basiert, in einem Kollegenwitz, der hängen bleibt, in einem Blick, der Besitz beansprucht.
Paulinas Wut bleibt meist stumm – doch sie durchzieht jede Seite. Besonders stark sind die Passagen, in denen sie den „male gaze“ in seinem banalsten, alltäglichsten Ausdruck entlarvt: als Müdigkeit, als Ekel, als stille Kapitulation. Fabbris Feminismus ist keiner der Bühne, sondern einer der inneren Revolte.
Ein stiller Rausch aus Tristesse und Trotz
Atmosphärisch gelingt Fabbri ein Kunststück: Sie verbindet die klaustrophobische Enge eines Lebens, das sich selbst im Weg steht, mit einem Gefühl stiller, trotziger Schönheit. „Dancing Queen“ ist ein Buch über die Leere, aber auch über das ungebrochene Bedürfnis nach Sinn, Nähe und Selbstbehauptung.
Die letzte Szene – zärtlich, fast surreal – ist ein Moment der Gnade nach all der Zerrissenheit. Kein Happy End, sondern ein Innehalten, ein Atemzug zwischen Leben und Tod.
Fazit: Bitter, klug und sprachlich… Chef’s kiss
„Dancing Queen“ ist ein kurzer, aber intensiver Roman, der durch seine Sprache und seine ungeschönte weibliche Perspektive überzeugt. Camila Fabbri schreibt mit einer radikalen Ehrlichkeit, die unter die Haut geht, und mit einer stilistischen Präzision, die man selten findet.
Wer nach linearer Handlung oder Wohlfühlmomenten sucht, wird hier nicht fündig. Wer sich aber auf eine literarische Grenzerfahrung einlässt – auf einen Text zwischen Wut, Verletzlichkeit und Hoffnung – wird belohnt.
Bibliographisches zum Buch „Dancing Queen“
Erschienen im Deutschen bei Hanser am 28.01.2025
Übersetzt von Susanne Lange
ISBN: 978-3-446-28182-0
Umfang: 176 Seiten
Preis (Gebunden): 22,00 €
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